7 Bücher, die wir dir zum Thema Neugier empfehlen

19. September 2019

1. Arno von Blarer, Die Neugier – Ursprung, Entstehung, Psychologie, Zürich 1951

Nicht das aktuellste Buch rund um die Neugier – aber als Einstieg vermutlich gerade deswegen gut geeignet. Der Autor beleuchtet den Tatbestand «Neugier» hauptsächlich von einem tiefenpsychologischen Standpunkt aus.

Im ersten, einleitenden Teil geht um eine Definition, was unter der Neugier verstanden wird und wie die mit ihr verwandten und zugeordneten Phänomene in Beziehung gebracht und zugleich von diesen abgegrenzt werden können. Der zweite Teil widmet sich den biologischen Bedingungen, unter denen neugieriges Verhalten entstehen kann. Im dritten Teil wird die Ontogenese neugierigen Verhaltens aus tiefenpsychologischen Gesichtspunkten beleuchtet, wobei es auch um die Hemmung der Neugier und ihre Erscheinungsweisen geht.

190 Seiten, gut verständlich verfasst. Ein rudimentäres Grundverständnis der (Freud’schen) Psychologie ist erforderlich.

 

2. Ian Leslie, Curious – The Desire to Know and Why Your Future depends on it, New York 2014

Eine lesenswerte populärwissenschaftliche Übersicht, was Neugier ausmacht und welche Rolle sie in unserem Alltag spielt bzw. spielen sollte. Der britische Autor beschreibt die Bedeutung und die Funktionen der Neugier vor dem Hintergrund der fortschreitenden Digitalisierung und den Abkürzungen, die das Internet und insbesondere Google uns anbieten. Ihn treibt die Sorge um, dass dieses jederzeit verfügbare Wissen letztlich unsere natürliche Neugier abwürgt.

Ian Leslie gliedert sein Buch in drei Teile. Im ersten Teil untersucht er die Funktionsweisen der Neugier (‘How curiosity works’), um im zweiten Teil die Bedeutung des Wissens – als Ergebnis der Neugier – hervorzuheben (‘The curiosity divide’). Der dritte Teil ist dann ganz der programmatischen Pflege und Förderung der eigenen Neugier gewidmet (‘Staying curious’). Dieser dritte Teil ist insofern anregend, weil seine «seven ways to stay curious» überaus unkonventionelle Massnahmen beinhalten und er Nebenschauplätze ins Spiel bringt, die ebenso spannende wie überraschende Ein- und Ansichten der Neugier eröffnen.

190 Seiten, nur auf Englisch erhältlich. Ian Leslie ist Brite und pflegt den reichen Wortschatz seiner Sprache. Ein gutes Wörterbuch ist unumgänglich.

Wer sich mit einer Kurzfassung begnügen will, der kann Ian Leslie auch zuhören, wenn er über die Neugier spricht.

 

3. Hans Blumenberg, Legitimität der Neuzeit, Frankfurt am Main, 1966

Ein Muss für alle, welche mehr über die Kulturgeschichte der Neugier wissen wollen (und bei der Gelegenheit auch einen etwas in Vergessenheit geratenen Philosophen entdecken können).

Die zentrale These in Hans Blumenbergs «Legitimität der Neuzeit» ist der Zusammenhang zwischen theologischem Absolutismus und humaner Selbstbehauptung und die Rolle der Neugier als Wegbereiterin der rationalen Wissenschaften. Das spätmittelalterliche Christentum hatte mit seinem Willkürgott den Menschen einer solchen Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit der Natur ausgeliefert, dass dieser sein Geschick nun selbst in die Hand nehmen musste. Oder anders formuliert: «Je gleichgültiger und rücksichtsloser die Natur gegenüber dem Menschen erscheint, umso weniger gleichgültig kann sie ihm sein, um so rücksichtsloser muss er selbst das, was ihm als Natur vorgegeben ist, […] verfügbar machen und als den Spielraum seiner Daseinschancen sich unterwerfen.» (Seite 206)

Im dritten Teil der «Legitimität der Neuzeit» zeichnet Blumenberg den «Prozess der theoretischen Neugierde» nach. Die Neugier wird dabei zum regelrechten Kampfbegriff der Neuzeit gegen das Christentum. Blumenberg widerspricht der Ansicht, dass die Neuzeit mit einem absoluten Neuanfang begonnen habe und sie in keinem Verhältnis zum Mittelalter stehe. Für ihn hat die Neuzeit irreduzible Voraussetzungen im spätmittelalterlichen Nominalismus und ist aus einer extremen Nötigung des Menschen zur Selbstbehauptung hervorgegangen. Repräsentant und Prototyp des auf sich selbst gestellten Menschen der Neuzeit ist Faust.

Ca. 700 Seiten, in einer erweiterten Ausgabe auch als Suhrkamp Taschenbuch erhältlich. Kein einfaches Werk, darum verweisen wir auf Franz Josef Wetz’ Monografie: Hans Blumenberg – zur Einführung, Hamburg 2014. Im Kapitel «Menschliche Selbstbehauptung» werden auf 30 Seiten und in einfacher Sprache die zentralen Inhalte und Aussagen der «Legitimität der Neuzeit» dargestellt.

 

4. Daniel Ellis Berlyne, Konflikt, Erregung, Neugier – zur Psychologie der kognitiven Motivation, Stuttgart 1974 (Amerikanisches Original: Conflict, Arousal, and Curiosity, New York 1960)

Berlyne arbeitete als Psychologe und Philosoph an Universitäten in Kanada und den USA auf dem Gebiet der experimentellen und explorativen Psychologie. Ursprünglich als Beitrag zur Verhaltenstheorie gedacht, zeichnet er aus behavioristischer Sicht nach, wie Neugier entsteht und wie sie als motivationales Konstrukt für den Erwerb von Fähigkeiten und Fertigkeiten funktioniert.

Nach der differentiellen Emotionstheorie gibt es drei Haupttypen stabiler motivationaler Variablen:     Triebe, Emotionen und affektiv-kognitive Orientierungen. Neugier gilt – zusammen mit der damit verbundenen Emotion Verwunderung – als wichtiger instinktiver Prozess beim Menschen. Der englisch-amerikanische Psychologe William McDougall erkannte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, dass zwischen Neugierde und Furcht ein labiles Gleichgewicht besteht und dass sich die Auslöser dieser beiden Zustände sehr ähneln. Neugier wird demnach durch geringere Grade von Fremdheit und Ungewohntheit ausgelöst, Furcht hingegen durch stärkere Grade.

Berlynes Definition von Neugierde unterscheidet sich nur wenig von derjenigen McDougalls. Er fasste Neugierde als eine Reaktion auf, schrieb ihr aber gleichzeitig die Eigenschaft zu, Reize zu erzeugen und gab ihr somit auch einen motivationalen Status. Er stellte weiter fest, dass sich kindliches Neugierverhalten lange vor dem Spracherwerb beobachten lässt und widersprach damit Freuds Auffassung, dass Neugier zuerst durch sexuelle Probleme geweckt werde.

Berlyne verdanken wir auch die Unterscheidung zwischen diversiver und epitemischer Neugier. Bei letzterer bemühen sich Menschen, Informationen zu sammeln, um die bei ihnen durch konkrete Sachverhalte ausgelöste Unsicherheit zu reduzieren. Sachverhalte, die epitemische Neugier auslösen, haben nach Berlyne unterschiedliche Qualitäten, wobei stets verschiedene Gegebenheiten miteinander verglichen werden. Bei der Neuartigkeit wird das Stimulusmaterial mit bereits Bekanntem verglichen, bei der Komplexität verschiedene Elemente von Mustern, beim Konflikt zeitgleich angeregte Reaktionen, beim Überraschungswert erfahrene Stimuli mit erwarteten Reaktionen, bei Ungewissheit zeitgleich angeregte Erwartungen. Aufmerksamkeit und Explorationsverhalten sind demnach sehr bewusste Vorgänge.

Ca. 370 Seiten. Keine Frage, ein wissenschaftliches Fachbuch, welches die Neugier als eine ganz besondere menschliche Eigenschaft darstellt. Speziell interessant sind die Querbezüge der Neugier zur Kunst und zum Humor.

 

5. Zukunftsinstitut GmbH (Hrsg.), Neugier-Management, Frankfurt am Main, 2014

Unternehmen müssen nicht nur im Management ansetzen, wenn sie in Zukunft erfolgreich wirtschaften wollen. Letztlich sind es stets die Mitarbeiter, die ein modernes, fortschrittliches und erfolgreiches Unternehmen ausmachen. Neugier – in Form von Lernbereitschaft – ist neben klassischen Auswahlkriterien wie eine abgeschlossene Ausbildung, Sprachkompetenzen, teamorientiertes Verhalten etc. eine der wichtigsten Eigenschaften bei der Auswahl neuer Mitarbeiter.

Neugier müssen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber nicht nur mitbringen. Es gilt auch eine Unternehmenskultur zu entwickeln, welche die Neugier gezielt fördert. Mit welchen Mitteln und Möglichkeiten das gelingen kann und welche Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen, davon handelt «Neugier-Management» von Carl Naughton und Andreas Steinle. Ersterer hat auch unter eigenem Namen viel Interessantes rund um die Pflege der Neugier zusammengetragen:
Carl Naughton, Neugier – So schaffen Sie Lust auf Neues und Veränderung, Berlin 2016.

Wie alle Ratgeber-Bücher sind beide Bände leicht zu lesen. Sie behandeln das Thema mit einem hohen Praxisbezug und blieben darum notwendigerweise etwas an der Oberfläche. Speziell interessant sind Tests wie WORCS (Work Related Curiosity Scale) und der NFC-Test (Need for Closure), mit deren Hilfe man sich selber auf die Schliche kommen kann.

Neugier-Management ca. 87 Seiten, Neugier ca. 260 Seiten. Ersteres ist sehr teuer (über 200 Euro), ist aber über Bibliotheken greifbar.

 

6. Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur, München 2016

 Wenn es einen Protagonisten der Neugier gibt, dann ist das – Doktor Faustus. Das ist zwar eine literarische Figur, die mit Johann Wolfgang von Goethes Trägödie weltberühmt wurde. Da Faust als das bedeutendste Werk der deutschen Literatur relativ gut bekannt ist verweisen wir stattdessen auf Alexander von Humboldt, der – was die Neugier angeht – Goethes Faust in nichts nachsteht.

Friedrich Heinrich Alexander Freiherr von Humboldt brach 1799 zusammen mit dem Expeditions-Botaniker Aimée Bonpland zu seiner ersten Forschungsreise in die Neue Welt auf. Während dieser fünfjährigen Fahrt erkundeten die beiden Venezuela, Kuba, Kolumbien, Equador, Peru und die USA, die Quellen des Amazonas und die eisigen Höhen der Anden, sie sichteten Meteoritenschauer, legten Längen- und Breitengrade fest, fertigten Karten an und bestimmten 60’000 Pflanzenarten. Es folgten weitere Forschungsreisen und diplomatische Missionen. Von 1845 bis 1862 gab er sein fünfbändiges Werk «Kosmos» heraus, den «Entwurf einer physischen Weltbeschreibung». Alexander von Humboldt starb 1859 in Berlin.

An aufwändigen Editionen zu Alexander von Humboldt gibt es keinen Mangel – trotzdem zählt der grosse Forschungsreisende weiterhin zu jenen Klassikern, die zwar beschworen, aber kaum gelesen werden. In Andrea Wulfs Biografie wird der rastlose Humboldt nicht nur sehr lebendig präsentiert, sondern auch ideengeschichtlich verortet und mit Goethe, Darwin oder Thoreau in Bezug gesetzt.

Ca.  550 Seiten, illustriert, aus dem Englischen übertragen von Hainer Kober

 

7. Ein Tagebuch, Sudelheft oder wenigstens ein Evernote-Konto

 Das ist die wichtigste Buchempfehlung überhaupt: ein eigenes Tagebuch, ein Sudelheft oder wenigstens ein Evernote-Konto, auf das Du über Dein Smartphone zugreifen kannst.

Du benötigst irgendein Medium oder eine digitale Plattform, um Deine Beobachtungen und Gedanken jederzeit schriftlich festhalten zu können. Ob Du lediglich Stichworte notierst, Zeichnungen machst, Dich an Deine Träume erinnerst oder ganze Tagesabläufe protokollierst, ist zweitrangig. Aber alles, was beobachtest, erlebst und feststellst, alles, was Dich umtreibt, interessiert, ärgert oder freut ist es wert, dass Du es bewusst wahrnimmst. Dafür musst Du hinsetzen und es schriftlich festhalten. Wahrnehmen meint «für wahr nehmen». Nur wenn Du verstehst, dass Du es bist, der mit diesen Augen und Sinnen die Welt erfährt, wirst Du ein Gefühl für die Neugier entwickeln und erkennen, was für ein Geschenk sie ist und welche Möglichkeiten sie Dir eröffnet.

Deine Neugier ist der Schlüssel für ein erfülltes und glückliches Leben. «Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten imstande sein werden. Was wir können und möchten, stellt sich unserer Einbildungskraft ausser uns und in der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im Stillen besitzen. So verwandelt ein leidenschaftliches Vorausgreifen das wahrhaft Mögliche in ein erträumtes Wirkliches.» (Johann Wolfgang von Goethe, Dichtung und Wahrheit, 2. Teil, 1811-1812. 9. Buch)

All denjenigen, die gerne eine Gebrauchsanweisung hätten, wie man so ein Tagebuch führen kann, dem empfehlen wir die «Morning Pages», die Julia Cameron entwickelt hat:
Julia Cameron, The Artist’s Way, New York 1992 (Deutsch: Der Weg des Künstlers, München 1996)

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